Kultur trotz(t) Baustelle: Infos zu den Bauarbeiten am Westbahnhof
Ministerin Katharina Binz zu Gast im Haus am Westbahnhof
Im Rahmen ihrer Sommerreise besuchte die neue rheinland-pfälzische Ministerin für Familie, Frauen, Kultur und Integration, Katharina Binz, am 12. August 2021 das Haus am Westbahnhof in Landau.
Der Verein Leben und Kultur e.V. nutzte die Gelegenheit, um mit der Ministerin und Gästen über die aktuelle Situation der Kultureinrichtungen, die Lage im Ehrenamt sowie die Zukunft der Kulturförderung in Stadt und Land zu sprechen.
Mit der Ministerin diskutieren Patricia Lang und Peter Damm (Leben und Kultur e.V.), Margret Staal und Lukas Nübling (Kulturbüro Rheinland-Pfalz), Dr. Eckhard Braun (Universität Koblenz-Landau), Roderick Haas (Kulturnetz Pfalz e.V.), Sabine Haas (Kulturabteilung Stadt Landau) sowie Christin Arto (Stiftungsreferentin Dieter Kissel-Stiftung). Moderiert wurde die Diskussion von Markus Lichti, freier Kulturberater aus Landau.
Der Blick zurück nach vorn
Zum Einstieg schaute man auf die vergangenen Monate zurück und nahm die verschiedenen Hilfs- und Förderprogramme für Künstler*innen, Kreative und kulturelle Einrichtungen während der Corona-Pandemie in den Blick.
Die Ministerin bescheinigte der Politik Fehler in der Krisenkommunikation, vor allem zu Beginn der Pandemie. Es sei fatal gewesen, dass Kultur in den ersten Verordnungen als „Freizeitvergnügen“ eingestuft wurde. Auch habe es recht lange gedauert, bis die spezifischen Bedarfe der unterschiedlichen Akteure erkannt worden seien. Ebenso hätte die Abstimmung zwischen Bund und Ländern besser funktionieren müssen, insbesondere bei der Einführung des Programms „Neustart Kultur“. Rheinland-Pfalz habe mit dem Programm „Im Fokus – 6 Punkte für die Kultur“ einen guten Weg eingeschlagen und angemessen auf die Notlage der Künstler*innen und Kulturschaffenden sowie der gemeinnützig tätigen Kulturvereine reagiert. Es sei gut, dass dieses Programm weitergeführt werde.
Für die Stadt Landau hob Sabine Haas, Leiterin der Kulturabteilung, das Programm „Miteinander in Landau“ hervor, mit dem man insbesondere Vereine und kulturelle Einrichtungen unterstützt habe. Mit dem „LandauLivestream“ seien zudem in kürzester Zeit Auftrittsmöglichkeiten für regionale Bands und Künstler*innen geschaffen worden. Haas bemängelte, dass die Corona-Verordnungen im Hinblick auf die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen mitunter an den Bedarfen in den Städten und Kommunen vorbeigegangen, dafür aber wichtige Punkte unbeantwortet geblieben sind. Dies führe zu enormen Aufwänden innerhalb der Verwaltung und habe eine langfristige Planung erschwert. Es sei nachvollziehbar, dass durch Förderprogramme und Zuschüsse Veranstaltungen aktuell mitunter kostenlos stattfinden könnten, sie befürchte dadurch jedoch Nachteile für Veranstalter*innen, die Einnahmen durch den Verkauf von Tickets generieren wollen oder müssen. Zudem dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Kultur dauerhaft kostenlos angeboten werden könne.
Margret Staal und Lukas Nübling vom Kulturbüro Rheinland-Pfalz stellten fest, dass Corona dazu geführt habe, dass zum ersten Mal Projektmittel de facto als Strukturförderung eingesetzt werden konnten. Dies habe den Einrichtungen völlig neue Möglichkeiten eröffnet und man hoffe, dass bei künftigen Förderprogrammen der Aspekt der institutionellen Förderung auch weiterhin berücksichtigt werde. Man müsse endlich wegkommen von einer rein projektbezogenen Förderung, deren Mittel man am Jahresende zurückzahlen müsse, wenn Projekte nicht durchgeführt oder Veranstaltungen nicht stattfinden konnten. Dies gelte insbesondere für Rheinland-Pfalz, wo beispielsweise soziokulturelle Zentren auf mindestens 50 Prozent Eigeneinnahmen angewiesen seien.
Im Haus am Westbahnhof habe man diese neuen Möglichkeiten erkannt und genutzt, so Patricia Lang und Peter Damm, Vorsitzende von Leben & Kultur e.V. Zwar habe man zunächst versucht, ein kleines Programm für die Zeit nach dem ersten Lockdown auf die Beine zu stellen, jedoch hätten die Corona-Verordnungen und der zweite Lockdown im November alle Pläne zunichte gemacht. Selbst das Konzept „Mein Konzert“, bei dem lediglich Angehörige eines einzigen Haushalts auf einem Sofa vor der Bühne Platz genommen hätten, sei nicht durchführbar gewesen. Daher habe man die Zeit genutzt und im Anschluss an die digitalen „Advents-Kultürchen“ die Aktion „Kulturgesichter 06341“ in Landau initiiert, bei der man Menschen der Landauer Kultur- und Veranstaltungsbranche portraitiert habe, die mittelbar und unmittelbar von der COVID-19-Krise betroffen waren und sind. Daraus habe sich ein Netzwerk der Landauer Kulturschaffenden ergeben, das man weiterhin pflegen werde und aus dem im Laufe des Jahres sicher noch die eine oder andere Aktion oder Veranstaltung hervorgehen werde.
Peter Damm verwies jedoch auch auf die Probleme bei der Beantragung von Fördermitteln und nannte dabei insbesondere den zeitlichen Aspekt. Es sei kaum noch möglich, den anfallenden Verwaltungsaufwand im Ehrenamt zu stemmen. Er würde es begrüßen, wenn beispielsweise Projektanträge an das Land nicht mehr jedes Jahr neu gestellt, sondern auch über ein Haushaltsjahr hinaus laufen könnten, beispielsweise bis zu drei Jahre. Dies würde den Aufwand von der Antragstellung bis zum Verwendungsnachweis erheblich reduzieren.
Wege aus der Krise
Daran anknüpfend wurde die Frage diskutiert, was Kulturförderung in Zukunft leisten müsse. Ministerin Binz führte aus, dass man im Land in dieser Legislatur in die Kulturentwicklungsplanung einsteigen wolle. Sie sehe dabei auch den Weg dahin als Ziel an und versicherte, dass man einen partizipativen Prozess anstoßen werde, in den insbesondere auch die Städte und Kommunen eingebunden würden. Grundlage für diese Planung werde die Neuauflage des Kulturförderberichts, der letztmalig im Jahr 2018 erschienen sei und einen Überblick über die kulturelle Vielfalt und Förderkulisse im Land liefere.
Christin Arto, Referentin der Landauer Dieter Kissel-Stiftung, merkte an, dass der „Netzwerk-Ansatz“ des Vereins Leben & Kultur für sie der Weg in die Zukunft sei. Starke und verlässliche Kooperationen seien essentiell, sowohl innerhalb der Kulturszene als auch mit Unternehmen und Stiftungen. In ihrer täglichen Stiftungsarbeit habe sie festgestellt, dass in den letzten beiden Jahren viele Solo-Künstler*innen dem Kulturbetrieb den Rücken gekehrt haben und mittlerweile einer anderen Erwerbsarbeit nachgingen. Arto regte an, künftig verstärkt auch auf Kunst- und Kulturstipendien zu setzen, um die Vielfalt in der Kultur zu erhalten.
Auf Kooperation setzt auch das Projekt „Kultur im Wandel“ am Institut für Kulturwissenschaft der Universität Koblenz-Landau. Projektleiter Dr. Eckhard Braun verwies auf die Stadt Waldmohr, die man derzeit wissenschaftlich in einem Changemanagement-Prozess begleite. Auch das Haus am Westbahnhof habe das Projekt bereits durchlaufen und man habe gesehen, welches oft ungenutztes Potential in der Zivilgesellschaft liege; häufig brauche es nur eine „Zündung“, um Neues auf den Weg zu bringen, so Dr. Braun.
„Mit uns können Sie rechnen“
Kulturzentren müssten als „Orte der Demokratiebildung und Toleranz“ erhalten werden, so Patricia Lang. Der Ansatz von „Kultur als Begegnung“ müsse doch gerade von von den GRÜNEN gefördert werden. „Mit uns können Sie rechnen“, versicherte Lang.
Margret Staal ergänzte, dass es dabei auch nicht unbedingt nur um finanzielle Mittel gehe. Vielmehr sei die Einbindung der Freien Szene in die städtische Kultur entscheidend, man brauche gemeinsame Diskussionräume; Städte und Kommunen müssten den Wert solcher Einrichtungen (an)erkennen.
Die Ministerin stellte fest, dass es noch immer viele Kommunen und Kreise ohne eigene Kulturabteilung gebe, und folglich dort auch jede Landesförderung ins Leere laufe, weil es sich in der Verwaltung niemand der Kultur annehme. Sabine Haas erwiderte, solange die Kultur ein „Spielball im Haushalt“ und keine Pflichtaufgabe der Kommunen sei, fehle es bei vielen Städten und Kreisen einfach an Geld und Personal. Binz entgegnete, dass man sich deshalb aber auch nicht völlig aus der Verantwortung stehlen könne und einfach keinerlei Strukturen für die Kultur aufbaue. Und es sei ja kein Automatismus, dass im Haushalt zunächst bei der Kultur gekürzt werden müsse.
„Ehrenamt muss gepflegt werden“
Abschließend kam die Runde auf die Auswirkungen der Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf das Ehrenamt zu sprechen. Erste Studien bescheinigten einen Rückgang ehrenamtlichen Engagements bei gemeinnützigen Organisationen und Einrichtungen, so Moderator Lichti. Diese Entwicklung habe man bereits im Blick, versicherte Ministerin Binz und verwies auf ein neues Landesförderprogramm, welches in der kommenden Woche vorgestellt werde. Mit diesem Programm wolle man Kulturvereine bei der Modernisierung und Weiterentwicklung ihrer Strukturen, im Nachwuchs- und Mitgliederbereich, bei der Öffentlichkeitsarbeit und vor allem auch bei der Digitalisierung unterstützen.
Positives in Sachen Ehrenamt hatte Roderick Haas, Kulturberater beim Kulturnetz Pfalz e.V. zu berichten. Er bemerke, dass vor allem im urbanen Bereich eine Vielzahl an Vereinsgründungen zu verzeichnen sei; der Verein als Organisationsform sei nach wie vor gefragt – vor allem auch im Hinblick auf die Akquirierung finanzieller Mittel in Form von Fördervereinen.
Peter Damm verwies auf die Bedeutung des persönlichen Kontakts. „Ehrenamt muss gepflegt werden“, so Damm. Man habe am Westbahnhof beispielsweise im Zuge der Crowdfunding-Kampgne „Licht am Ende des Tunnels“ zahlreiche Gespräche geführt und viele persönliche E-Mails verschickt. Dies habe nicht unwesentlich zum Erfolg der Kampagne beigetragen. Bei der internen Kommunikation setzte man mittlerweile auch auf die Möglichkeiten, die das Internet biete; so stehen Haupt- und Ehrenamtliche des Vereins nahezu täglich über eine Chat-Plattform in Kontakt.
Man müsse wegkommen vom „klassisch deutschen Verein“, bei dem nur die Unterschrift auf dem Mitgliedsantrag zähle, ergänzte Patricia Lang. Man habe bei Leben & Kultur e.V. schon immer einen offeneren Ansatz verfolgt und es Leuten ermöglicht, sich projektweise zu engagieren, ohne gleich Mitglied werden zu müssen. Diesen Weg werde man im Westbahnhof auch weiter beschreiten.